Herr Hofer hat Stress!

 

Der neue Verkehrsminister Norbert Hofer gehört seit vielen Jahren zu den Umtriebigsten in Österreichs Politszene. Im Jahr 2016 bewarb er sich zum Beispiel um nichts Geringeres als das Amt des Bundespräsidenten. Im Zuge seiner diversen Wahlkampfauftritte tauchte auch die von Hofer selbst immer wieder lancierte Geschichte auf, in der er bei einem - wie man heute weiß - nicht ganz offiziellen Israelbesuch plötzlich mitten drin war in einem Terroranschlag auf dem Tempelberg.

 

Eine andere Wahrnehmung der Realität

Die Story hatte das Zeug zum Actionthriller: Maschinenpistolen, Handgranaten, eine erschossene Terroristin. Die Wahrheit sah aber nicht ganz so aus: Eine offenbar verwirrte Frau wurde durch einen gezielten Schuss der israelischen Sicherheitskräfte gestoppt und anschließend in ein Krankenhaus gebracht. Keine toten Terroristen, keine Handgranaten, keine Maschinengewehre. Und alles ein schönes Stück von dem Ort entfernt, an dem der damalige dritte Präsident des Nationalrats auf den Zutritt zum Tempelberg warten musste.

Von seinen Anhängern erhielt DI Hofer aber sofort Rückendeckung: Nein, er hat nicht übertrieben oder gar gelogen. In so einer Stresssituation kann es doch ganz leicht "zu einer anderen Wahr-nehmung der Realität" kommen.

Ich bin überzeugt: Das stimmt so. Zu viel Stress beeiträchtigt die Wahrnehmung bei Manchen, vielleicht auch bei Herrn Hofer. Das erscheint glaubwürdig, denn offenbar wiederholt sich die Sache mit der differenzierten Wahrnehmung gerade.

Nach dem enormen Stress des Wahlkampfes, der Koalitionsverhandlungen und des Amtsanttritts als Verkehrsminister läßt Norbert Hofer mit seinen ersten Vorschlägen aufhorchen. Und die präsentierten Lösungen setzen voraus, dass man eine sehr alternative Sicht der Realität auf Österreichs Straßen hat.

 

Aus für die Rettungsgasse, jederzeit freie Fahrt nach rechts und Geschwindigkeitslotto

Mehr Sicherheit auf Österreichs Autobahnen durch die Abschaffung der Rettungsgasse? Klar, aber nur im negativen Sinn. Es werden mit Sicherheit die Hilfs- und Rettungskräfte noch weniger Chance haben, rechtzeitig an den Einsatzort zu gelangen. Nur weil ein paar Unbelehrbare noch immer nicht verstanden haben, worin der Sinn der Rettungsgasse besteht und wie sie gebildet wird, schaffen wir sie ab. Das nennt man im Volksmund "das Kind mit dem Bade ausschütten".

Eine abschnittsweise und situationsabhängige Freigabe der zulässigen Höchstgeschwindigkeit wäre grundsätzlich überlegenswert. Soll das Ganze aber mit einer ausreichenden Rechtssicherheit für die Autofahrer verbunden sein, dann muss eine unmissverständliche Kennzeichnung her. Eine Menge Schilder kosten eine Menge Geld. Von der im Wahlkampf angekündigten Sparsamkeit also keine Spur. Verzichtet man aber auf die flächendeckende Beschilderung, dann bleibt alles vage: Passt das Wetter jetzt oder nicht? Ist zu viel Verkehr oder nicht? Alles reine Auslegungssache und  - etwa nach einem Verkahrunfall - eine große Spielwiese für Behörden, Sachverständige und Versicherungen.

Ähnliches gilt für das "Ja" zum Rechtsabbiegen an roten Ampeln. Das schafft jede Menge neuer Unsicherheiten und Gefahrenquellen. Für Fußgänger und Radfahrer gibt es in diesem Fall auf kreuzenden Geh- und Radwegen meist grünes Licht und da sind manche sehr flott unterwegs. Einspurige Fahrzeuge fahren rechts an den wartenden Mehrspurigen bis zur Kreuzung vor. Das ist erlaubt, von den Fahrersitzen vieler Transporter und LKWS sind diese Verkahrsteilnehmer aber trotzdem kaum oder nur schwer zu erkennen. In so einem Moment rechts abzubiegen hätte fatale Folgen. Ein erhöhtes Unfallrisiko als Preis für geringe Zeitgewinne - nicht wirklich erstrebenswert!

 

Schau genau!

Die Antwort auf alle drei Vorschläge kann nur lauten: Nein, so bitte nicht. Zurück an den Start, Herr Verkehrsminister und bauen sie erst ein Mal ein wenig Stress ab. Das hilft bestimmt, eine bessere und realistischere Sicht auf die Probleme im Straßenverkehr zu kriegen. Wenn Sie nach diesen neuen Betrachtungen dann tatsächlich brauchbare Verbesserungsvorschläge präsentieren finden Sie mit Sicherheit dankbare Zuhörer. Mich eingeschlossen.