Es ist die erste gemeinsame Regierungsklausur von ÖVP und FPÖ. Laufend stellen sich Regierungsmitglieder den Journalisten, auch Vizekanzler Strache und Bundeskanzler Sebastian Kurz. Letzterer stellt dabei unter anderem ganz unmissverständlich klar: Es wird ein Arbeislosengeld "neu" geben. Wer zu lange arbeitslos ist, für den wird das Arbeitslosengeld auslaufen. Danach folgt künftig aber nicht mehr die Notstandshilfe sondern die sogenannte Mindestsicherung. Das klingt recht harmlos, hat es aber in sich. Was Kurz nicht erwähnt: Dadurch erhält der Staat Zugriff auf das Vermögen der Betroffenen, also Auto, Wohnung, etc..
Darüber berichtet anschließend der ORF ebenso wie verschiedene Tageszeitungen, z.B. der Standard, der Kurier und die Presse. Das setzt natürlich Ängste bei den möglicherweise Betroffenen frei und heftige Reaktionen folgen. Und mit größter Dankbarkeit greift die Opposition das Thema auf und streut Salz in die Wunden.
Strache und die FPÖ brauchen ein paar Tage, bevor sie überhaupt reagieren, dafür aber dann heftig und mit einem lächerlichen Rundumschlag, der sich - wie fast immer - vor allem gegen die SPÖ richtet. Fakenews lautet der Vorwurf und die inszenierte Entrüstung verbreitet sich im Internet. Dumm nur, dass durch die Live-Mitschnitte des Interviews der Beweis auf dem Tisch liegt, dass Straches Regierungsfreund Kurz genau diese angeblichen Fakenews zum Besten gibt. Und dumm nur, dass genau dieser Teil der Pressekonferenz noch am gleichen Tag im Originalton ausgetrahlt wurde (Ö1 Mittagsjournal, 05.01.2018).
Große Show, kleines Programm
Die ganze Geschichte ist symptomatisch für den Auftritt der türkis-schwarz-blauen Koalition. Sie wollen ein unglaubliches Arbeitstempo zur Schau stellen. Sie wollen so tun, als würden sie hemdsärmelig sofort anpacken, was sich bisher keiner getraut hat und als könnten sie jederzeit geniale Lösungen aus dem Zylinder zaubern. Und sie achten darauf, dass dabei das gegenseitige Anlächeln und Schulterklopfen nicht zu kurz kommt. Gute Freunde kann niemand trennen.
Tatsächlich sind sie aber viel zu sehr nur mit dieser Performance beschäftigt. Wer das nächste halbfertige Konzept präsentiert kriegt auch die nächste Schlagzeile. Und die wollen alle. Eine Ankündigung jagt die nächste, dabei möglichst nicht zu konkret werden und auf keinen Fall einen genauen Zeitplan angeben. Jeder redet mit jedem, aber keiner hört zu, und so nimmt das Regierungsunglück seinen Lauf.
Alternative Wahrheiten
Um es noch ein Mal mit aller Deutlichkeit zu sagen: Es war Bundeskanzler Kurz und nicht Oppositionschef Kern, der den Plan vom "Arbeitslosengeld neu mit Mindestsicherung" ins Rennen schickte, und zwar unmittelbar nach langen gemeinsamen Verhadlungen mit der FPÖ.
Kurz und Strache waren bei dieser Regierungsklausur natürlich federführend dabei. Es müssten daher beide wissen, was vereinbart wurde. Wenn die Version von Kurz nicht stimmt, warum hat dann Strache mit keinem Wort widersprochen? Wenn aber die Version von Kurz richtig ist, was ist dann mit der Story von Strache?
Was tatsächlich ausverhandelt wurde, die türkise Version oder die blaue, wissen nur die Beteiligten. Aber es kann unmöglich beides zutreffen. Einer der zwei ach so eifrigen Koalitionäre sagt also hier nicht die Wahrheit. Warum der FPÖ-Chef dann das Lügenproblem bei den Roten ortet bleibt ein Rätsel. Strache agiert ganz im Stile Donald Trumps: Kommt ans Tageslicht, was ihn schlecht aussehen lässt, dann erschafft er einfach seine eigene alternative Wahrheit.